Archiv für den Monat: November 2023

Ansprache anlässlich Kundgebung gegen AfD „Bürgerdialog“

am 03.11.2023 in Osterburken

Es ist an der Zeit

In was für einer Welt, in was für einem Land, in was für einer Stadt wollen wir leben?

Was sind für uns die unverrückbaren Grundsätze menschlichen Zusammenlebens?

Annette Kurschus, die Ratsvorsitzende der EKD, erklärte am vergangenen Dienstag, dem Reformationstag:

„Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit: das ist die Heilige Dreifaltigkeit der Demokratie.“

Wir stehen hier, weil wir für Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit einstehen.

Wir stehen hier, weil es in unserem Land wiedererstarkende Kräfte gibt, die versuchen die Zustände wiederherzustellen, mit denen unser Land die ganze Welt vor gut 80 Jahren in den Abgrund gerissen hat.

Dem wollen wir unser Welt- und Menschenbild entgegensetzen und einstehen für das, was unsere Demokratie ausmacht.

Wurzeln unserer Werte

Unsere Werte gründen auf einem Welt- und Menschenbild, dass es nicht erst seit unserem Grundgesetz oder seit der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gibt.

Sie gründen auf einem Welt- und Menschenbild, dass viel, viel, älter ist.

„Gott schuf den Menschen nach seinem Bild. Als Gottes Ebenbild schuf er ihn.“
(Genesis 1,27)

So steht es ganz vorne, ziemlich am Anfang der Bibel.

Gott hat den Menschen, alle Menschen, erschaffen, und deshalb haben sie alle dieselbe Würde.

Und diese Menschenwürde ist unantastbar. So sagt es unser Grundgesetz. Auch ganz vorne. In Artikel 1.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Es ist einer von nur zwei Artikeln des Grundgesetzes, die unveränderlich sind, die nicht aus dem Grundgesetz gestrichen oder abgeändert werden können, auch wenn ich das Gefühl habe, manche Politiker bestimmter Parteien würden das gerne tun. Weil ihnen dieser Grundsatz,
vielleicht sogar unser Grundgesetz als Ganzes, lästig geworden ist.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Das heißt:

Nicht die Würde des Deutschen ist unantastbar.
Nicht die Würde der Männer
oder die Würde der Starken,
oder die Würde der Heterosexuellen,
oder derer die schon immer hier gewohnt haben,
derer mit heller Hautfarbe,
derer, die 100% fit und leistungsfähig sind
und produktiv zum Erfolg unserer Landes beitragen,
sondern die Würde aller Menschen.

Für mich, als Christen und Pfarrer, ist das alles zusammengefasst im wichtigsten aller Gebote:

Du sollst Gott lieben.
Und: Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst.
(Lukas 10,27)

Das ist der Maßstab.

Würden wir alle versuchen, nach diesem Grundsatz, nach diesem höchsten aller Gebote, zu leben, wir bräuchten für viele Dinge keine weiteren Gesetze mehr.

Oder anders gesagt:

Aus christlicher Sicht muss sich jedes Gesetz, jede Regel, jedes Verhalten egal ob das einer Einzelperson, eines Unternehmens, einer Partei oder einer Institution daran messen lassen,
inwiefern es Gott und den Menschen dient.

Jedes Gesetz, jede Regel, jede Verhaltensweise, die dem zuwiderläuft, ist unchristlich, und vermutlich in den meisten Fällen auch nicht mit unserem Grundgesetz vereinbar.

Was heißt das konkret?

Darüber, was dem Menschen dient, darüber kann und darf man unterschiedlicher Meinung sein.

Über die Abwägung, welches Verhalten dem Menschen, unserer Gesellschaft als Ganzem,
eher dient oder eher schadet, darüber kann und darf man im Einzelfall unterschiedlicher Meinung sein.

So ist das in einer Demokratie. Da müssen auch abweichende Meinungen ausgehalten und respektvoll miteinander diskutiert werden können.

Fragen wie:

Dient es dem Menschen eher, massiv die Energiewende voranzutreiben, weil es langfristig unsere Zukunft sichert, weil es uns langfristig massiv schadet weiterzumachen wie bisher, auch wenn das viele von uns sehr viel Geld kosten kann?

Oder sollten wir da eher langsamer machen?
Überfordert uns das vielleicht finanziell oder emotional?
Wie bewerte ich die wirtschaftlichen Folgen?
Wie bewerte ich die Folgen für den sozialen Frieden?
Wie bewerte ich die Folgen für die Umwelt,
wenn wir zu langsam oder gar nicht handeln?

Darüber kann und darf man unterschiedlicher Meinung sein.

Oder:

Wie ist das mit der Migration?
Das treibt im Moment ja wieder viele Menschen um. Gibt es so etwas wie eine Belastungsgrenze? Objektiv oder auch emotional gesehen?
Falls ja:
Wie vielen Menschen, die jenseits eines Asylanspruchs zu uns kommen in der Hoffnung auf ein sichereres oder vielleicht auch nur besseres Leben können oder wollen oder müssen wir helfen?

Oder hilft eine bestimmte Art der Migration sogar uns?

Wie weit soll Hilfe gehen?

Was sind neben dem Grundrecht auf Asyl (Artikel 16a GG) und der Genfer Flüchtlingskonvention die richtigen Kriterien? Wie finden wir hier einen guten Weg?

Darüber kann, darf, ja muss diskutiert werden.

Die rote Linie

Bei allen Kontroversen, bei aller unterschiedlicher Meinung, muss aber auch immer klar sein:

Es gibt rote Linien.
Es gibt ein „bis hierher und nicht weiter“!

Diese roten Linien sind im Grundgesetz verankert. Und die ultimative rote Linie, das ist die Menschenwürde.

Wo Einzelpersonen oder Parteien sich für eine Abschaffung des Grundrechts auf Asyl aussprechen, wenn sie dies möglicherweise noch damit verbinden, den Menschen, die bei uns Hilfe suchen, das Recht auf Leben abzusprechen, sie womöglich „entsorgen“ wollen, um mal eine tatsächlich verwendete Wortwahl dieser Politiker zu zitieren, dann ist die rote Linie nicht nur überschritten, sondern geradezu mit Füßen getreten.

Wenn Einzelpersonen oder Parteien meinen, es gäbe wertvolleres und weniger wertvolles,
menschliches Leben, wenn sie behaupten, Behinderungen, Herkunft, Hautfarbe,
Religion, Geschlecht, sexuelle Orientierung oder sonstige reale oder eingebildete Unterschiede
würden diese zu weniger wertvollen Menschen machen, dann ist eine rote Linie überschritten
und in den Staub getrampelt.

Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, die Missachtung von Religionsfreiheit und jede Form der Diskriminierung sind unvereinbar mit dem christlichen Glauben und unvereinbar mit unserem Grundgesetz.

Deshalb stehen wir hier gemeinsam ein für eine offene, tolerante, bunte und vielfältige Stadt,
für ein offenes, tolerantes und vielfältiges Osterburken.

Es ist Aufgabe der politischen Parteien, der Gewerkschaften, der Verbände, all derer, die sich für die Gestaltung unserer demokratischen Gesellschaft einsetzen, dafür zu sorgen, dass alle Menschen in Würde, in Freiheit und ohne Angst in dieser unserer Gesellschaft leben können.

Es ist unser aller Aufgabe darüber zu wachen, dass alle, die in unserer Gesellschaft Verantwortung tragen oder gerne tragen würden, sich in diesem Rahmen bewegen,
den unser christliches Menschenbild und unser Grundgesetz vorgeben.

Und immer dann, wenn die Menschlichkeit auf dem Spiel steht, dann ist es unsere Pflicht als Bürger, als Kirchen, als politische Parteien, Vereine und sonstigen Institutionen unsere Stimmen zu erheben, notfalls auf die Straße zu gehen und lauthals STOP zu rufen.

Denn die Würde des Menschen die ist unantastbar!

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Pfarrer Thomas Schnücker
Osterburken, 3. November 2023

Demo Osterburken / DGB-Veranstaltung zu den Novemberpogromen

Nochmal zwei Termine zur Erinnerung – das darf natürlich gerne weiter verbreitet werden!

1.) Ein Aufruf zur Demo gegen die noAfD in Osterburken.
Wer mit der Bahn dorthin mitfahren möchte: 16:51 Uhr ab Lauda (Treffen spätestens 10 Minuten vorher am Gleis 2)

Lasst uns ein Zeichen für Offenheit und Respekt setzen!
⏰ Am 3.11.2023 um 17:30 Uhr veranstalten wir eine Kundgebung unter dem Motto „Gemeinsam für ein offenes, tolerantes und menschenfreundliches Osterburken“ als Gegendemonstration zu dem geplanten „Bürgerdialog“ der AfD in unserer Stadt.
📍Treffpunkt ist der Bahnhof in Osterburken.
🤗 Wir freuen uns über jeden, der sich der Kundgebung  anschließt und sich für eine tolerante Gesellschaft einsetzt.
Gemeinsam können wir einen Unterschied machen und eine positive Botschaft für ein respektvolles Miteinander senden.
Euer Arbeitskreis für Toleranz und Vielfalt Osterburken und teilnehmende Organisationen 🌎

2.) Einladung zum Vortrag anlässlich des Jahrestags der Novemberpogrome:
WO STEHT DIE EXTREME RECHTE HEUTE?
Antisemitismus, Rassismus, Verschwörungsmythen: Die extreme Rechte greift unsere Demokratie und unser gesellschaftliches Zusammenleben an. Anlässlich des 85. Jahrestages der Novemberpogrome gibt Timo Büchner anhand konkreter Beispiele aus der Region einen Einblick in die Aktivitäten und Strategien der extremen Rechten.
Referent: Timo Büchner
10. November 2023, Mariensaal, katholisches Gemeindehaus, Marienstrasse 1, Bad Mergentheim
Beginn 18:30 Uhr