Archiv für den Monat: Oktober 2023

Was tun gegen rechte Gewalt?

Podiumsdiskussion des Netzwerks gegen Rechts Main-Tauber

20230929 Podiumsdiskussion
Valéria Fekete , Alice Robra, Arnulf von Eyb, Seda Başay-Yıldız

Gerlachsheim. Die jüngste Razzia der Polizei gegen die Artgemeinschaft, unter anderem in Kupferzell, habe einmal mehr deutlich gemacht, dass es etliche rechtsextreme Aktivitäten in der Region gibt, eröffnete die Moderatorin Alice Robra vom SWR eine Veranstaltung des Netzwerks gegen Rechts Main-Tauber. Im Jahr 2023 habe es im Land laut einer Statistik der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt bereits mehr als 130 Fälle gegeben. Was man gegen „Reichsbürger“ und rechte Gewalt in Deutschland tun kann war das Thema einer Podiumsdiskussion mit Valéria Fekete von Leuchtlinie, der Nebenklagevertreterin im Münchner NSU-Prozess, Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız, und dem Landtagsabgeordneten Arnulf von Eyb, Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags.

Başay-Yıldız bekannte sich als Verfechterin des Rechtsstaats, in dem alle Menschen gleich behandelt werden und in dem die Menschenwürde geachtet wird. Aus diesem Grund sei sie Rechtsanwältin geworden. Im fast fünf Jahre dauernden Münchner NSU-Prozess habe sie die Familie des ersten Opfers Enver Şimşek vertreten. Bis heute sei sie mit seiner Familie verbunden. Erschüttert habe sie, dass ihre geheimen Adressdaten von einem hessischen Polizeicomputer abgefragt und weitergegeben wurden. In einem mit „NSU 2.0“ unterschriebenen Fax wurden sie und ihre Familie daraufhin mit Mord bedroht. Ihre Tochter sei damals gerade 20 Monate alt geworden. „Als Strafverteidigerin bin ich es gewohnt beleidigt und bedroht zu werden“, berichtete Başay-Yıldız. Durch den Angriff auf ihre Familie, gegenüber der sie eine Verantwortung habe, habe sie sich auf einmal verwundbar gefühlt und sich gefragt, was wohl als nächstes passieren werde.

Arnulf von Eyb sieht sich in einer anderen, weniger persönlich betroffenen Position als seine Anwaltskollegin Başay-Yıldız, vor der er große Achtung habe. Ihn habe der Mord 2007 an der Polizistin Michelle Kiesewetter am helllichten Tag mitten in Heilbronn erschüttert, der erst Jahre später durch den Fund der dabei geraubten Polizeipistolen bei den Tätern des NSU aufgeklärt werden konnte. Seine Aufgabe sieht der Politiker vor allem darin sich darum zu kümmern, dass die staatlichen Organe einigermaßen funktionieren.

Valéria Fekete ist seit 2021 Beraterin bei Leuchtlinie, eine Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt. Mit Rechtsextremismus sei sie erstmals als Wahlhelferin in Kontakt gekommen, als sie in ihrem eigenen Wohnbezirk Stimmen für die NPD auszählen musste. Dabei sei ihr bewusst geworden, dass sie in ihrem Wohnumfeld selbst Opfer rechter Gewalt werden könnte. Sie betreue Menschen, die von rechts attackiert wurden, was von Beleidigungen in der Straßenbahn bis zu konkreten Morddrohungen reiche.

Rassistische Ermittlungen der Polizei

„Ich war entsetzt“, so Seda Başay-Yıldız, „wie die Opfer des NSU von den Sicherheitsbehörden behandelt wurden“. Die Polizei habe beim Überbringen der Todesnachricht die Schuld bei den Opfern gesucht, die Angehörigen aufs Revier mitgenommen und ein ganzes Jahrzehnt lang nach Drogen befragt, obwohl es dafür keinen Anhaltspunkt gab. Viel sorgsamer und mitfühlender sei sie dagegen mit der Mutter der Polizistin Michelle Kiesewetter umgegangen. Ihr habe die Polizei 10 Tage Zeit gegeben und ihr seelsorgerischen Beistand geleistet. „Die Polizei weiß also schon, wie man eine Todesnachricht einfühlsam überbringt“.

Im NSU-Prozess vermisste die Anwältin jegliches Schuldeingeständnis der betroffenen Beamten, jedes Fehlerbewusstsein und jede Entschuldigung bei den Familien der Opfer. Die Fehler hätten für die Polizisten keine Konsequenzen gehabt. Das Versprechen der vollständigen Aufklärung sei im Prozess nicht eingehalten worden. Verfassungsschutzmitarbeiter hätten keine Aussagegenehmigung erhalten und Akten seien nicht freigegeben worden. „Das Geheimhaltungsinteresse des Staates überwog das Aufklärungsinteresse in einem Mordfall. Wir sind damit gescheitert, ein bisschen Gerechtigkeit für die Opfer zu erreichen“, so ihr bitteres Fazit.

Gerichte ignorieren rechtsextreme Motive

Valéria Fekete beklagte eine Tendenz der Justiz, Fälle rechter Gewalt zu bagatellisieren. Weil die rassistischen, antisemitischen oder antiziganistischen Motive nicht benannt würden, komme es zu einer statistischen Untererfassung. Die Taten würden häufig als „sonstige“ oder „nicht zuordenbar“ eingeordnet und damit auch zu milde bestraft. Viele Taten von Reichsbürgern würden beispielsweise nicht als rechtsextremistisch motiviert bewertet.

Başay-Yıldız kritisiert die „strukturell rassistischen Ermittlungen“ im Fall der NSU-Morde. Sie fordert, dass der Staat Beamte aus dem Dienst entfernt, die in Chatgruppen eine eindeutig rechtsextreme Gesinnung zeigen, die mit den Aufgaben der Polizei nicht zu vereinbaren ist. Sie könne nicht glauben, dass es in der Polizei niemandem aufgefallen ist, wenn Kollegen den Hitlergruß zeigten oder über Juden lachten, die vergast worden sind. Leider würden solche Beamte aber von ihren Kollegen gedeckt. Keiner habe gegen einen anderen ausgesagt. Nötig sei daher, dass die Strukturen innerhalb der Polizei gestärkt werden.

MdL Arnulf von Eyb stimmt dem im Prinzip zu, sieht aber auch rechtliche Schwierigkeiten, Lebenszeitbeamte zu entlassen. Die 25.000 Polizisten in Baden-Württemberg seien ebenso wie die 120.000 Lehrerinnen und Lehrer ein Spiegelbild der Gesellschaft. Darunter gebe es auch ein paar schwarze Schafe. Dies dürfe aber nicht dazu führen, dass alle in einen Topf geworfen werden.

Solidarität mit den Opfern

Seda Başay-Yıldız sprach sich abschließend dafür aus, Solidarität mit den Opfern zu zeigen. Dies könne durch Spenden, durch Beteiligung an Demonstrationen oder auch dadurch geschehen, dass man eine Karte an sie schreibt. Diese Solidarität sei für die Betroffenen wertvoll und wichtig.